Kommunikation, Organisationsentwicklung | 27. September 2017

Flache Hierarchien: Ein Biotop für Statuskämpfe?

Deutscher Wildgehegeverband e.V.

Flache Hierarchien, iterative Prozesse und dynamische Organisationen stehen auf der Tagesordnung. Vertikale Hierarchien scheinen „out“. Soziale Prozesse und Netzwerke treten in den Vordergrund. Welche Folgen hat das für unterschiedliche Kommunikationstypen, z.B. für introvertierte Personen?

Hierarchien ermöglichen im positiven Fall:

– Entwicklungs- und Entscheidungsprozesse sowie Aufgabenfelder klar zu definieren
– Verantwortlichkeiten zu definieren
– Konflikte zu vermeiden und zu klären
– Spezialisierungen je nach Fähigkeiten zu ermöglichen
– Abstimmungsaufwand zu minimalisieren, die maximale Zeit der Mitarbeiter für das freizugeben, was sie am Besten können
– Sicherzustellen, dass es Personen gibt, die den Überblick behalten und die generelle Richtung überprüfen

Zu Recht: Steife Hierarchie und Hierarchie-Missbrauch haben viel Innovation und Motivation blockiert, wurden und werden genutzt, um zu schikanieren und um direkt-menschlichen Kontakt zu erschweren. Was wäre also falsch an flacheren Hierarchien? Überraschend ist, dass der Großteil meiner Coaching-Klienten aus Organisationen mit flachen, ergo diffusen Hierarchien stammt. Woran liegt das?

Wenig ist sicher

Eine flache Hierarchie mit hoher Partizipation der Mitarbeiter kann zwar zu gewaltiger Motivation führen, im Krisenfall aber auch zu gewaltigem Stress, da letzten Endes wenig „sicher“ ist. Entscheidungsprozesse können ohne vertikale hierarchische Strukturen leicht intransparent werden. Wenn z.B. nicht für alle Mitarbeiter nachvollzieh- oder beeinflussbar ist,

– wie über Beförderungen und Erweiterung von Aufgabenbereichen/Verantwortungsbereichen entschieden wird,
– wie Erfolge und Misserfolge evaluiert und ggf. honoriert/geahndet werden,
– wie Ideen von wem entwickelt werden und welche Ideen zur Umsetzung gelangen,
– wer wie und wann Zugang zu Entscheidungspersonen/Personalgesprächen hat,

dann stehen die Mitarbeiter in einer diffusen Konkurrenz zueinander. Flache Hierarchien und iterative sind fern davon, weniger hierarchisch zu sein. Entscheidungsprozesse fußen hier nur stärker auf strategischen Netzwerken und dem eigenen sozialen Einfluss – als auf festgelegten Positionen.

Die Mitarbeiter müssen in Folge, um zu gestalten oder die Qualität ihres Arbeitsplatzes zu erhalten oder zu entwickeln, um ihren sozialen Status kämpfen – anstatt nur durch gute Arbeit zu überzeugen. Dabei liegt einigen dieses soziale Spiel mehr, anderen weniger. Denn nicht alle Menschen sind gleich. Manche Eigenschaften haben wir von Geburt an, manche erlernen wir in der Kindheit oder Jugend, manche erst später. Unsere frühesten Erfahrungen prägen uns am Stärksten. In der jüngeren Forschung treten vor allem zwei Grundtypologien auf, die sich jeweils zwischen zwei Extremen befinden: Die Spannbreite von introvertiert zu extrovertiert und die Spannbreite von statusorientiert-kompetitiver zu beziehungsorientiert-integrativer Sozialisierung.

Wir alle befinden uns meist nicht komplett in dem einen oder anderen Spektrum. Aber wahrscheinlich haben wir trotzdem keinerlei Schwierigkeiten, uns in einer Kombination der Grundtypen wiederzufinden.

Kein optimales Biotop für Introvertierte

Introvertierte Menschen reagieren stärker auf Reize. In sozialen Situationen mit ihrer Vielzahl von parallelen Wahrnehmungs- und Handlungsaufgaben sind sie schneller überfordert und ziehen sich erher zurück. Sie sind allerdings auch potentiell empathischer, offener für Impulse und haben eine hohe Konzentrations- und Reflektionskraft. Sie könne dann öffentlich auftreten, wenn Sie von einer Sache innerlich überzeugt und gut vorbereitet sind. Sie bevorzugen ruhige Beschäftigungen und Einzelbegegnungen.

Extrovertierte Menschen reagieren weniger stark auf Reize. Sie können auch in reizstarken Gruppensituationen ohne Probleme und erfolgreich sozial wahrnehmen agieren. Sie sind klassische Initiative-Ergreifer, auch im Angesicht unvollständiger Informationen. Sie können begeistern und motivieren und aus dem Stehgreif improvisieren. Allerdings machen sie deshalb auch häufiger Fehler. Auch haben Sie Schwierigkeiten, anderen Personen und damit anderen, evtl. richtigen und wichtigen Ideen und Gesichtspunkten Raum zu geben. Sie sind eher weniger sensibel empathisch. Sie bevorzugen stimulierende Aktivitäten und Begegnungen in einer Gruppe.

Flache Hierarchien ohne transparente Entscheidungsstrukturen können dazu führen, dass das Potential introvertierter Menschen nicht genutzt wird. Weder verfügen Sie über die gleichen Fähigkeiten noch das Bedürfnis, große soziale Netzwerke aufzubauen. In Gruppensituationen ziehen sie sich eher zurück, vor allem, wenn spontane Beiträge gefordert sind. Es gibt weniger Raum, in dem Introvertierte Gedanken ausdrücken  können. Darüber hinaus sind die Großraumbüros, die häufig mit der Idee flacher Hierarchien einhergehen für sensible Menschen eine Reizüberlastung, die die Arbeitsleistung mindert. Wer kennt nicht Kollegen, die, „wenn sie wirklich arbeiten müssen“, ihre Arbeit mit nach Hause nehmen?

Platzhirsche bevorzugt?

Statusorientiert/kompetitiv sozialisierte Personen haben von Ihrer Jugend an gelernt, dass Hierarchien wichtig sind. Der Platz in der Hierarchie wird durch einen konstanten Wettbewerb geregelt, der zwar anstrengend, aber auch als lustvoll empfunden wird. Entscheidend ist nicht zwingend, in der Hierarchie oben zu stehen, sondern überhaupt einen klaren Platz in der Hierarchie zu haben. die Grundeinstellung auf Wettbewerb hat zwei weitere Folgen: Ansprüche müssen ständig behauptet werden. Solange keiner diesen Anspruch herausfordert oder hinterfragt, bleibt er als Territorium bestehen. Deshalb übernehmen männlich-sozialisierte Personen oft rasch Inhalte und Haltungen, vertreten auch improvisiert souverän eine Position, können aber auch gut damit umgehen, wenn sie kritisiert oder zurückgesetzt werden. Es ist halt ein Spiel, ein Versuch. Darin liegt die zweite Botschaft: Das Spiel um Hierarchie ist nicht identisch mit Sympathie. Man kann sich sympathisch sein, sich aber trotzdem hierarchisch herausfordern. Potentiale sind hier die Initiativfähigkeit und die Möglichkeit, herauszufordern und kritisch zu hinterfragen. Schwierigkeiten sind die Unterdrückung bzw. Dominanz weniger und die evtl. mangelnde Tiefe der Beschäftigung mit Inhalten und Themen. In flachen Hierarchien können statusorientierte rasch wichtige Entscheider werden. Auf der anderen Seite besteht die Gefahr, durch mangelnde Empathie wichtige Impulse zu übersehen, Fehlentscheidungen zu treffen und durch Ignoranz kompetente Mitarbeiter oder zumindest Commitment zu verlieren.

Beziehungen wichtiger als Inhalte?

Beziehungsorientiert/integrativ sozialisierte Personen haben von Ihrer Jugend an gelernt, dass Einbindung und gegenseitige Wertschätzung wichtig sind. Sie versuchen, ihr Gegenüber das Gesicht wahren zu lassen – und erwarten dies auch von den Anderen. Genauso wird Anderen Raum gegeben und erwartet, dass man selbst Raum gegeben bekommt. Der soziale Kitt ist hier nicht die Hierarchie sondern der soziale Zusammenhalt, Sympathie und Fairness – I am OK, you are OK. Potentiale sind hier die soziale Dynamik der Einbindung und Respekts sowie ein Schwerpunkt auf Sachlichkeit und gute inhaltliche Vorbereitung. So gehen gute Ideen nicht unter und die fachliche Qualität ist potentiell hoch. Auch strategischer Beziehungsaufbau mit dem Fokus auf Kontribution anstatt reine Transaktion liegt dem beziehungsorientierten Typ anäher – eine Kernfähigkeit in der sich stetig wandelnden, vernetzen Arbeitswelt. Auf der Negativseite liegt die mangelnde Initiativkraft, denn es ist schwierig, in einem auf Fairness und gleichteiliger Einbeziehung fußenden System eigene Ideen gegenüber anderen durchzusetzen, ohne die Sympathie zu verlieren. Wenn keine(r) die Führung übernimmt, droht Mittelmäßigkeit, Trägheit und Richtungslosigkeit.

Der Weg nach vorne

Es wird deutlich, dass keine Kommunikationsform im Kontext flacher Hierarchien die einzig selig machende ist. Bewusstheit für den eigenen „bevorzugten“ Stil und die Fähigkeit, wenn notwendig auch in der anderen Sprache zu sprechen sind aber Fähigkeiten, die jeder Führungskraft am Herzen liegen sollten. In Bezug auf flache Hierarchien darf das Ziel nicht sein, nur die scheinbar „schwächeren“ beziehungsorientierten oder introvertierten KommunikatorInnen aufzurüsten. Warum? Abgesehen von der qualvollen Selbstoptimierung wäre eine Welt der Ellbogen die Folge, in der weite Teile des Potentials der MitarbeiterInnen ungenutzt bleiben und sich die aggressivsten und ignorantesten MitarbeiterInnen durchsetzen.

Emanzipatorische Potentiale liegen darin, bisher statusorientiert/kompetitiv oder extrovertiert ablaufende Prozesse (Meetingprocedere, Bewerbungsverfahren, Brainstorming) so zu gestalten, dass beziehungsorientiert/integrativ und introvertiert denkende Menschen integriert werden. Auf der anderen Seite ist es wichtig, dass beide Grundtypen lernen, auch in der Sprache der jeweils anderen Typologie zu sprechen und je nach Gegenüber die richtige Sprachwahl zu treffen. Da in Deutschland weiterhin statusorientierte Männer massiv dominieren, sollten die meist beziehungsorientierten Frauen nicht warten, dass die Männer sich ihnen öffnen. Hier ist aktives Training gefragt. Anstatt frustriert auszusteigen, können beziehungsorientiert sozialisierte Menschen lernen, mit Freude in einen spielerischen Wettbewerb einzusteigen. Bewusstheit für Körpersprache, statusorientierte Gesprächstechniken und territoriales Verhalten sind hier Schlüsselqualitäten, die ich in meinen Trainings vermittle. An alle statusorientierten Akteure sende ich die Botschaft: Seht das Potential, dass Eurer Organisation verloren geht, wenn ihr beziehungsorientierten oder introvertierten KollegInnen nicht die Arbeitsbedingungen schafft, in denen diese ihr Potential gewinnbringend einbringen können.

 

 

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