Sachlich, unverbindlich, anstrengend? Wir brauchen eine langfristig gesunde Kultur virtueller Meetings. In diesem Beitrag teile ich Beobachtungen, Ideen und Handlungsansätze aus meiner Praxis als virtueller Moderator und als Trainer für die Moderation virtueller Meetings.
Bei der Arbeit und privat verbringen wir immer mehr Zeit in virtuellen Begegnungen. Diese virtuellen Räume sind damit nicht mehr nur eine Ergänzung sondern – zumindest zeitweise – ein Ersatz oder auch eine neue Form der sozialen Begegnung. Darauf sind wir als Gesellschaft noch nicht vorbereitet. Nach wenigen Wochen unfreiwilliger Total-Virtualität während der Corona-Krise wird deutlich: Eine langfristig gesunde, kommunikativ effektive und gleichzeitig sozial verbindende Kultur virtueller Begegnungen ist nicht selbstverständlich.
Im privaten Bereich haben sich sozial tragfähige Formate der Begegnung explosionsartig etabliert: Persönliche Videochats, virtuelle Geburtstagsfeiern, wöchentliche Freund*innenrunden, Video-Karaoke und vieles, vieles mehr! Manch einer sieht jetzt zum ersten Mal seit langem Menschen wieder, mit denen vielleicht über Jahre nur sporadisch Austausch bestanden hat. Das virtuelle Format ermöglicht, wenn auch ohne die körperliche Nähe, Begegnung und intensiven Austausch.
Im beruflichen und Engagement-Bereich sieht die Realität leider anders aus: Müde Gesichter, ein scheinbar professioneller Fokus auf eine reine Sachebene, eine gewisse Abgespanntheit und Gereiztheit. Die Menschen scheinen von Meeting zu Meeting zu hetzen. Persönliche Begegnung und Austausch jenseits des im Fokus stehenden Besprechungsthemas findet nur noch in sehr geringem Maße statt.
Es braucht ein Umdenken
Es braucht ein Umdenken. Wenn wir vielleicht Wochen oder Monate so arbeiten, ist diese Kultur für die Produktivität der Arbeit, für die Arbeitsbeziehungen und für die individuelle Gesundheit nicht förderlich. Viele Arbeitsbezüge werden, einmal virtualisiert, virtuell bleiben. Denn das hat auch jenseits von Corona viele Vorteile: Zeit- und Geldersparnis, Klimaschutz und vor allem die Vereinbarkeit mit unterschiedlichsten Lebenssituationen. Viele Menschen können nur partizipieren, weil es virtuell ist.
Wie gehen wir damit um, dass wir nicht genauso lange in virtuellen Meetings sitzen können wie in Live-Meetings? Welche Arbeitsschritte können/müssen wir im Gespräch klären, welche erarbeiten wir parallel schriftlich? Wieviel Arbeit ist überhaupt leistbar? Welche Ansprüche an uns und andere müssen wir anpassen?
Wie kann dieses Umdenken aussehen? Wie können wir „ganzheitliche“ virtuelle Meetings gestalten, in denen Raum für Emotionen, für den Körper und für den Aufbau, den Erhalt und die Entwicklung menschlicher Beziehungen ist?
Ganzheitlich gedachte Meeting-Strukturen
Eine lebendige Kultur virtueller Meetings heißt eine lebendige Struktur mit Räumen für Begegnung, für gemeinsames Erleben, Räumen für Freude, Spannung und Entspannung. Eine lebendige Kultur virtueller Meetings heißt vielleicht, anders zu kommunizieren.
Im virtuellen Raum (zumindest ab einer gewissen Größe) braucht es mehr als zuvor eine Moderation, die den Fokus des Gesprächs herstellt, Beiträge verknüpft, den Prozess voranbringt und darauf achtet, dass alle Teilnehmer*innen beitragen können. Die aber auch in beruflichen Kontexten kontinuierlich Räume und Formate anbietet, in denen wir Begegnung, Austausch, Spaß, Erholung und Emotionen erleben können. Denn das sind die Bausteine, auf denen Vertrauen und damit langfristig effektive Lebens- und Arbeitsbeziehungen aufbauen.
Es braucht ein gemeinsames Verständnis von Kommunikation, eine Art Regelwerk, wie wir in einem Kontext miteinander sprechen, wie wir die verschiedenen technischen Möglichkeiten nutzen. Welche Rolle spielt der Chat? Wie melden wir uns?
Non-verbale Kommunikation im virtuellen Raum
Und vielleicht braucht es auch eine völlig neue Form der aktiven Partizipation, ein neues ABC der non-verbalen virtuellen Kommunikation. Denn akustisches Feedback wirkt in größeren Meetings eher irritierend als bestätigend – einerseits durch Hintergrundgeräusche und durch technische Verzögerung, aber auch, da wir nicht sofort sehen können, woher ein „Hm…“, „Ach nee,“ oder „Haha..“ kommt. Deshalb ist die Grundeinstellung meistens: alle Mikros auf stumm. Die Folge: Ein virtuelles Meeting wirkt wie eine Fernsehsendung, die wir anschauen, aber nicht spontan reagieren können. Eine Alternative ist exzessive Chatnutzung – die hat aber ein hohes Ablenkungspotential. Kaum einer hat wirklich die Fähigkeit, parallel sinnhaft und konzentriert mehrere Diskussionsstränge zu verfolgen. Ein Meeting mit wilder Chatnutzung erinnert mich an ein Abendessen, an dem viele Kinder beteiligt sind. Ein zusammenhängendes, in die Tiefe gehendes Gespräch ist schwierig. Wenn wir aber die Chatnutzung zurückfahren, wenn das Mikro auf stumm ist, wie können wir uns und anderen dann aktiv vergegenwärtigen, dass wir in einem gemeinsamen Raum sind? Hier könnte der im virtuellen so vernachlässigte Körper ins Spiel kommen: Wir können anfangen, kontinuierlich visuelle „Zeichen des Zuhörens“ zu senden, sei es indem wir Nicken, mit den Händen Winken, den Kopf schütteln oder andere Gesten machen. Ich probiere gerade verschiedene Formen des visuellen Feedbacks aus – mit sehr ermutigenden Erfahrungen. Die Meetings werden lebendiger, herzlicher und effektiver. Probieren Sie es einmal aus – so wird der virtuelle Raum voller Leben!
Als kleine Unterstützung drei Listen mit einfachen Tipps, wie Ihr Eure Meeting-Kultur verbessern könnt:
10 Tipps für die Moderation virtueller Meetings
10 Tipps für die Konzeption virtueller Meetings
10 Tipps: Wie bin ich eine gute Teilnehmer*in virtueller Meetings?
Ich freue mich auf Eure Rückmeldungen, Erfahrungsberichte und neuen Ideen – denn wir alle lernen gerade gemeinsam. Was für ein Abenteuer!
Herzliche Grüße
Daniel Unsöld