Coaching | 18. März 2014

Biographie als Kunst – Alternativen zum roten Faden unseres Lebenslaufs

Wenn ein Leben eine Geschichte wäre,

– dann wäre sie lang und manchmal würde scheinbar der rote Faden verlorengehen. Aber wenn man genau schaut, ist er immer da. Auf der einen Seite liegt das vielleicht daran, dass wir unser Leben stets aus unserer jetzigen Situation wahrnehmen. Es liegt nahe, Vorangegangenes in einen sinnhaften Bezug zum Ergebnis zu stellen. Dort habe ich dieses erfahren, da jenes, darum habe ich mich so oder anders entschieden.

Wo ist Raum für Diskontinuität?

Wenn wir aber genauer schauen, stellen wir fest, dass diese Kausalität dem tatsächlichen Er-Leben nicht gerecht wird. Da war doch viel mehr Diskontinuität, Offenheit, Weggabelungen und Unklarheit, und auch viel mehr Zufall, Ausprobieren und Einfach-mal-Weitermachen als wir uns eingestehen, oder? Eins hat sich nicht immer schlüssig aus dem Anderen ergeben, und manchmal war es auch nicht das, was wir wollten, sondern es war einfach gerade eine „Gelegenheit“, die wir ergriffen haben. Ist also alles Willkür? Auch das wäre überzogen. Denn es steht außer Frage, dass uns unsere Erfahrungen geformt haben; und es steht auch außer Frage, dass wir in aller Regel bewusste Entscheidungen treffen konnten und auch getroffen haben.

Wir entscheiden, was wir zeigen

Vielleicht sollten wir das abgenutzte Bild des roten Fadens durch ein Neues ersetzen? Mir gefällt das Bild eines mobilen Kunstarchivs, in das wir als Kurator_in Erfahrungen und Lebensphasen, Tätigkeiten und Beziehungen legen wie kleine Kunstwerke, Skizzen und Skulpturen. Jedes dieser Kunstwerke hat eine bestimmte Qualität. Wir tragen sie mit uns und wir entscheiden uns von Zeit zu Zeit, an einem Objekt weiterzuarbeiten, manchmal finden wir neue Kunstwerke, manchmal schaffen wir Neue. Manche Projekte verwerfen wir und sie liegen zerknüllt am Boden des Archivs. Manchmal fügen wir zwei Objekte zusammen. Oder aus einem werden plötzlich zwei. Aber sie bleiben alle in unserem Archiv. Und sie alle haben eine spezielle Bedeutung für uns, haben kleine Archivierungszettel, anhand derer wir sie wiederfinden und sortieren.

Können Erfahrungen können aus unterschiedlichen Perspektiven neu gelesen werden?

Wir können mit Ihnen verschiedene Ausstellungen kuratieren, je nachdem, welches Thema die Ausstellung haben soll. Und für den Betrachter von Außen ergibt sich stets ein ganz eigenes Bild davon, was für ein Künstler wir sind, je nachdem welche Kunstwerke von uns wir gerade ausstellen. Den gesamten Umfang unseres Archivs, den kennen wir nicht einmal selbst. Da gibt es Gänge, die wir schon lange nicht mehr betreten haben. Kunstwerke, die wir nicht mögen. Kunstwerke, die wir geschenkt bekommen haben, aber gar nicht haben wollten. Und doch ist es unser Archiv, und wir sind die eifrigsten Katalogisierer und Neusortierer, und wir sind auch stets darauf bedacht, neue Werke hinzuzufügen. Wir haben unsere Lieblingsausstellungen, die wir besonders gerne zeigen. Manche unserer Werke verstehen wir selber nicht, dann suchen wir Experten auf, die uns helfen, diese Werke zu verstehen. Und was passiert, wenn wir auf all das verzichten, was in unserem Archiv ist, was bleibt dann von uns? Können Andere, können wir uns dann noch verstehen?

Für ein aktives Bekenntnis zur biographischen Vielfalt

Von Zeit zu Zeit überkommt mich die Lust, diesem Bild auch in der Wirklichkeit nachzugehen. In mein Archiv zu greifen und zu schauen, was ich dort finde. Vielleicht arbeite ich an einem Teil weiter oder bringe zwei zusammen. Daraus entstehen für mich neue Impulse und ich verbinde die Werke in meinem inneren Archiv, schaffe Querverweise und Referenzen, meine Erfahrung verdichtet sich. Ein Beispiel ist für mich ist die Beschäftigung mit LandArt, der Kunst in und aus der Natur. Objekte oder Performances, allein oder gemeinsam, bewegt, brennend oder fliessend, schwebend, wild oder still. Die Ausdrucksmöglichkeiten sind fast unbegrenzt. Erst einmal unwahrscheinlich dass ich das mache, aber wenn ich in mein inneres Archiv schaue, kann ich eine schöne Ausstellung zusammenkriegen an Menschen und Erfahrungen, die mich dazu bringen, mich durch LandArt auszudrücken: Meine Mutter, die uns schon als Kinder zum Gestalten im Garten einlud. Ein Freund meines Vaters, der in den Achtzigern alle Baumstümpfe auf unserem Grundstück zu Phalli umschnitzte und archaische Performances im Garten entwickelte. Eine Theaterpädagogin, die uns unsere Rollen in der Natur erarbeiten ließ. Meine Reisen, die Suche nach teilweise extremen Naturerfahrungen, die eigene Arbeit für den Schutz der Natur, das Theater und die systemische Aufstellungsarbeit. Die gründliche Gestaltungslehre aus dem Studium der Landschaftsarchitektur. Ich meine, all das weist darauf hin, das ich mich mit LandArt beschäftigen sollte, quasi zwingend! Wie kann es anders sein?

Dauerausstellung und Sonderausstellungen

Tatsächlich ist es anders, meine Dauerausstellung heißt Trainer, Coach und Moderator. Aber trotzdem habe ich eine Wechselausstellung gewagt. Im Sommer 2012 hatte ich die Gelegenheit, für EVENTUS Erlebnispädagogik&Naturcoaching ein LandArt-Seminar zu organisieren. Ich nutze LandArt auch manchmal als Element in Teamtrainings. Ich habe gemerkt, dass ich es kann, dass das – auch – authentisch ich bin. Könnte man eine Dauerausstellung draus machen… Aber für mich ist irgendwie klar, dass es eine Nebenausstellung bleibt. Aber eine, die ich immer gerne wieder ausstelle. Und für die es auch ein Publikum gibt. Andere bleiben unausgestellt, weil ich keine Zeit gefunden habe, weil die Kataloge und Querverweise falsch sind oder fehlen. Aber vielleicht kommen die ja noch. Schön wäre es, denn es ist schade, wenn Kunstwerke immer im Archiv bleiben und keiner sie sehen kann.

Überlasst die Kritik den Kritiker_innen

Ich möchte deshalb alle Leser_innen mit diesem Beitrag einladen, mehr eurer Kunstwerke auszustellen. Seid nicht so geizig, überlasst die Kritik den Kritiker_innen. Stellt Eure Frühwerke aus, die verrückten Versuche und auch die gescheiterten Lebenswerke. Kuratiert ganz ungewöhnliche Ausstellungen, kombiniert Werke, die eigentlich nicht zusammenpassen. Jeder ist eine Kuratorin. Und ich bin der Erste, der sich eine Eintrittskarte kauft.

Beitragsbild und Galeriefoto von Juju’s Delivery.