Ich glaube nicht nur ich als Coach kann das Wort „work-life-balance“ nicht mehr hören. Wissen wir doch schon. Alter Hut! Aber wenn ich genauer hinschaue steht die Genervtheit vieler meiner Coachees und Bekannten hinsichtlich des Begriffs im Gegensatz zur Lebensrealität. Konzentrationsstörungen, häufige Erkältungen, wie die Feuerwehr von einem Notfall zum nächsten oder die Entwicklung körperlicher “Ticks” – all das können Anzeichen eines nahenden Burn-Outs sein. Darunter leidet nicht nur das Arbeitsergebnis, sondern auch Freunde, Verwandte und Familie. Ich nehme im Coaching und meinem Umfeld war, das die Meisten trotz dieser Warnsignale nicht die Handbremse ziehen: „Nur noch dieses und jenes Projekt, aber dann…!“
Warum ist sie anscheinend so schwer, diese “work-life-balance”?
Wenn trotz offensichtlicher Zeichen der Überlastung nicht reagiert wird, ist das nicht nur eine körperliche Belastungsfrage – nicht selten steht dahinter die Flucht vor der Auseinandersetzung mit einem essentiellen Thema wie Tod; Selbstwert; die Angst, verlassen zu werden; die Angst, verrückt zu sein oder der Mangel an Sinn im eigenen Leben.
Nicht immer ist es auch so, dass die Arbeit tatsächlich die meiste Zeit beansprucht, doch viele nehmen die Arbeit mit nach Hause – in Gedanken gehen sie wieder und wieder schwierige Beziehungen und Situationen durch – bis zur Erschöpfung. Oft steht dahinter ein aus der Balance geratenes Leben, in dem alle Bestätigung des Selbstwerts aus der Arbeit kommt. Die anderen Bereiche existieren zwar, nehmen in der Wahrnehmung aber keinen Raum ein. Es fehlt die Fähigkeit zur Balance, der Arbeit den Raum zu geben, der ihr zusteht. Nicht mehr und nicht weniger.
Eine erfüllende Arbeit ist ein existentieller Teil des Lebens, unsere Fähigkeit, etwas zu erschaffen, ein Metier zu beherrschen, uns zu ernähren, sich selbst und anderen Sicherheit zu geben. Dass darf Raum einnehmen. Aber Arbeit ist nur ein Teil des Lebens, und sie ist nicht die Bestimmung. Arbeit ohne Sinn außerhalb von sich selbst ist Betäubung.
Im Coaching unterstütze ich meine Coachees darin, zu lernen den Fokus ihrer Aufmerksamkeit auf andere Bereiche des Lebens auszuweiten. Wenn wir wirklich Kraft aus unseren Freundschaften, aus Familie, aus unserem Engagement oder aus der Zeit mit uns Selbst ziehen, sind wir für das „Suchtmittel Arbeit“ nicht mehr so anfällig. Arbeit wird der Diener unseres Lebens, nicht der Herr.
Unser Selbstwert ist wie ein See, der sich aus vielen Zuflüssen nährt. Oft haben wir diese verbaut, vermeintlich um Energie zu sparen und mehr Zeit in den Aufbau von (finanzieller) Sicherheit zu investieren. In Wirklichkeit werden wir dadurch instabiler, den wir sind leichter aus der Balance zu bringen. Nur durch unverbaute Flüsse kann man zur Quelle gelangen…